haruki murakami und ich

Wednesday, July 05, 2006

Arbeiten in Japan (Vol I / IV )

Das Wort Weblog (kurz blog) ist eine Wortkreuzung aus dem Wort web und aus dem Wort log. Was web bedeutet, sollte hinlänglich bekannt sein, zumal es mir wohl auch recht schwer fiele, die genaue Bedeutung treffend zu erläutern. Ein Log ist ein Messinstrument aus der Seefahrt. In einem Logbuch werden Geschwindigkeiten oder zurückgelegte Fahrtstrecken festgehalten, ein Seefahrer-Tagebuch sozusagen. Verweise auf das world wide web gibt es in meinem blog zur Genüge, in solchem wird es ja auch veröffentlicht; Also konzentriere ich mich heute auf den Tagebuch-Teil und plaudere ein wenig aus dem Nähkästchen.



Dem aufmerksamen Leser meines blogs wird aufgefallen sein, dass neue Beiträge seit geraumer Zeit eine echte Rarität geworden sind. Anfangs dachte ich noch, mir ginge es wie der jungen Sumire zu Beginn von Murakamis „Sputnik Sweetheart“: Den „Kopf [...] vollgestopft mit Zeug, über das ich schreiben will. Wie eine olle Scheune. [...] Aber wenn ich mich dann an den Schreibtisch setze und schreiben will, merke ich, dass etwas Wichtiges fehlt. [...] und ich bleibe auf einem Haufen Geröll sitzen.“
[Haruki Murakami. Sputnik Sweetheart. Köln 2002. S.20] Aber dann müsste die Sache ja zu bewältigen sein: „losziehen und irgendwo einen lebendigen Hund finden“, [Ebd. S.21] meine Texte einer magischen Taufe unterziehen. Doch bei längerem Nachdenken musste ich feststellen, dass das Problem ein Anderes war: Weder erwartete ich von meinen Texten eine spirituelle Verbindung zwischen Diesseits und Jenseits, noch litt ich an einer Schreibblockade. Das Problem war, mir fehlten zum Verfassen neuer Beiträge Zeit als auch Muße, denn ich stand kurz vor Karoshi*.

* „Als Karōshi (jap.過労死, Tod durch Überarbeiten) bezeichnet man in Japan einen plötzlichen berufsbezogenen Tod“.

[http://de.wikipedia.org/wiki/Karoshi 02.07.2006]



Schuld an meiner „Nah-Karoshi-Erfahrung“ sind nicht etwa 30 Semesterwochenstunden, Rugby-Training, ambitionierte Kurzfilme, Hausaufgabenbetreuung für Kinder mit Migrationshintergrund, zu haltende Referate oder zu schreibende Essays. Dies sind alles Dinge, die mir große Freude bereiten. Schuld daran ist mein „Bafög-Pimpin´-Nebenjob“: 36 Stunden an einem Wochenende, immer bereit sein einzuspringen, wenn’s mal brenzlig wird - auch werktags nach Mitternacht -, sich der Willkür des Chefs beugen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt – es handelt sich lediglich um einen Kellnerjob. Hinzu kommt natürlich noch das permanente schlechte Gewissen, da solch materialistische, „ich-würde-alles-für-Geld-tun-Attitüde“ eigentlich völlig meinem Naturell widerstrebt. Abgesehen davon jedenfalls, dass ich vor Arbeitsantritt keine Gymnastik mit meinen Kollegen machen muss und wir keine Firmenhymne besitzen, stelle ich mir so in etwa auch den japanischen Arbeitsalltag vor - Doch weit gefehlt:



Nicht nur, dass japanische Arbeitnehmer wahrscheinlich niemals eine solch öffentliche Plattform dazu nutzten, über ihren Chef herzuziehen. Wahrscheinlich hätten sie auch kein schlechtes Gewissen, dermaßen käuflich zu sein, sondern empfänden es als große Ehre, sich so sehr für die Firma aufopfern zu dürfen. Und was mich anbelangt, so wären Unterhaltsforderungen - im Falle meines Ablebens fehlgeschlagen, denn „
Überarbeitung als Todesursache [kommt] in Frage, [...] wenn der Betreffende am Tag seines Ablebens mindestens 24 Stunden (!) gearbeitet hat oder in der Woche vor seinem Tod jeden Tag mindestens 16 Stunden. Wenn er in der Woche vor dem Zusammenbruch einen Tag frei hatte, ist es schon kein Karoshi mehr und Unterhaltsforderungen greifen ins Leere.“ [http://www.heise.de/tp/r4/artikel/12/12609/1.html 02.07.2006] In der Tat, es gibt keinen Grund zu lamentieren.



Ich entsinne mich, gelesen zu haben
[vermutlich in Neumanns „Darum nerven die Japaner“], dass in Japan alles so teuer sei. Insbesondere Aufwendungen für Freizeitaktivitäten, da die Japaner so wenig Urlaub hätten, das Geld, welches sie verdienten ja allerdings trotzdem wieder ausgegeben werden müsse – sonst funktioniert ja auch das alles mit der Marktwirtschaft nicht mehr so gut. (Nur um einen Allgemeinplatz zu formulieren, mit welchem ich meine ökonomische Unkenntnis sicherlich nicht überspielen kann.) Jedenfalls macht das für mich keinen Sinn: Sechs Tage die Woche arbeiten, über 300 Tage im Jahr – nur damit man den ganzen Lohn an einem Urlaubs-Wochenende wieder verprassen „muss“?



Ich für meinen Teil weiß, wofür ich arbeite: Studiengebühren nächstes Jahr, einen Flug dorthin, wo die Sonne noch wärmer strahlt in den Semesterferien... Aber was ist die Motivation für die Japaner, so viel zu arbeiten? Wie muss die corporate identity einer Firma aussehen, für die man sogar die Gefahr, an Karoshi zu sterben, auf sich nimmt?

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