haruki murakami und ich

Wednesday, July 05, 2006

Arbeiten in Japan (Vol II / IV )

Was also bringt Japaner dazu, so viel zu arbeiten? Wie ist Japans Arbeitsmarkt aufgebaut? Warum besitzt nicht Arbeit generell, sondern die Firma in Japan so einen hohen Stellenwert? In einer von mir gerne zitierten Monographie von Aoki Tamotsu fand ich Ansätze einer Erklärung:



In seiner Abhandlung „Von der Japanizität zur Globalität (seit 1984)“ beschreibt Tamotsu das System japanischer Unternehmensführung wie folgt: Charakteristisch für die Arbeit in japanischen Unternehmen seien Attribute wie „lebenslange Beschäftigung; jährliche gemeinsame Einstellung von Arbeitskräften ohne Selektion bestimmter Bewerber für bestimmte Posten ; Standartausbildung für alle [...]; Vergütung und Beförderung entsprechend der Seniorität; Beschränkung des Wettbewerbs und Betonung der Harmonie; das ringi-System*; das System der Gruppenverantwortlichkeit und des omikoshi-Managements*² ; Organisationen, die gleichermaßen autoritär und demokratisch beziehungsweise partizipatorisch sind; paternalistische Aufsicht über das Wohlbefinden von Angestellten bis in deren Privatleben hinein“.


*Ringi-System: Ein Umlaufsystem, bei dem Vorgänge zur Information, Kommentierung und Abzeichnung an alle betroffenen Stellen geleitet werden.


Omikoshi-Management
: Verteilung der Verantwortung nach dem Muster der dörflichen Schreinfeste (omikoshi= der Schrein), wo in Festumzügen alle gleichermaßen die Last der Schreine tragen.



[Aoki Tamotsu. Der Japandiskurs im historischen Wandel – Zur Kultur und Identität einer Nation. München 1996]



Die Vorteile dieses Unternehmensstils liegen auf der Hand: Er bedeutet Sicherheit für die Angestellten und deren Angehörige, da diese eine Beschäftigungs- als auch Beförderungsgarantie besitzen. Für die Firma bedeutet dies universal einsetzbare und flexible Arbeitskräfte. Und mit der großen Wertschätzung einer kollegialen Kooperation und einer Einwirkung der Arbeit auf das Privatleben soll wohl in der Tat so etwas wie eine corporate identity geschaffen werden.

Das klingt doch, insofern man bereit ist, die Definition von Privat etwas auszudehnen, gelegentlich einen Abend mit dem Chef in der Karaokebox zu verbringen und dort nicht seine persönliche Interpretation von „Sympathy for the Devil“ zum Besten zu geben, gar nicht so schlecht.

So manch einer würde sicherlich gerne die ein oder andere Geistesfreiheit aufgeben, um sie für Sicherheit und Stabilität im Beruf einzutauschen. (Denn der Verlust dieser Freiheit geht wohl zwangsläufig mit dem japanischen Stil der Unternehmensführung einher.)

Doch bezüglich meiner Frage, warum die Japaner so viel arbeiten, fühle ich mich eher zurückgeworfen, als das ich der Beantwortung dieser Frage näher gekommen wäre. Wenn man sowieso eine lebenslange Beschäftigungs- und Beförderungsgarantie besitzt, so muss man sich doch für diesen Job auch gar nicht sonderlich engagieren – geschweige den Gefahr laufen, an Überarbeitung zu sterben. An dieser Stelle die Verbindung zu manch einem meiner ehemaligen Lehrer kurz vor deren Pensionierung zu ziehen erspare ich mir – und bin statt dessen ehrlich zu mir selbst: Stelle ich mir nun einmal vor, wie es wäre, ein Seminar zu besuchen, in welchem der Dozent schon von vornherein garantiert, dass jeder Teilnehmer dieses Seminar mit einer 1,0 abschließen werde? Wahrscheinlich würde ich mich bei dem ersten Seminar dieser Art noch ordentlich ins Zeug legen, um das mir entgegengebrachte Vertrauen nicht zu enttäuschen, beim Zweiten und Dritten jedoch schon nicht mehr...

Ganz abgesehen davon, dass die persönliche Leistung durch das Prinzip der Beschäftigungs- und Beförderungsgarantie keineswegs geschätzt wird, was längerfristig zu einem Motivationsverlust, als auch dem Verlust eventueller Freude an der Arbeit führen würde, macht dieses Prinzip den Arbeitsmarkt als Ganzes nur undurchlässig.



Doch das Prinzip besitzt auch eine gewisse innovative Dynamik, so hat sich in Japan durch die vertraglich garantierte, lebenslange Beschäftigung der Beruf des
madogiwa zoku* etabliert. Die Aufgabe des madogiwa zoku besteht (wie für alle in der japanischen Sprache versierten Personen ersichtlich) darin, aus dem Fenster zu schauen. Ok, ich gebe zu, ich finde die Beschreibung dieser Tätigkeit in gewissem Maße amüsant, doch man kennt dieses Phänomen ja auch aus dem ehemals kommunistischen Ländern und weiß, dass es das nicht ist. Drastisch hohe Selbstmordraten in Japan, insbesondere unter Männern mittleren Alters, tun ihr übriges um zu untermauern, dass es nicht lustig ist. (Insofern man die innerbetriebliche Arbeitslosigkeit als eine Ursache für Suizid annimmt.)



madogiwa zoku:
Fenstergucker (jap. 窓際族 madogiwa zoku) [http://de.wikipedia.org/wiki/Fenstergucker 05.06.2006]



Wie es nun aber tatsächlich zu Karoshi kommt? Konnte ich bislang noch nicht feststellen. Nächstes mal.

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