haruki murakami und ich

Monday, July 24, 2006

Land in Sicht? - Der letzte Beitrag

„Verschwende ich Zeit und Energie an ein sinnloses Unterfangen? [...] Sollte ich meine fruchtlosen Bemühungen nicht lieber aufgeben und mich einfach dem natürlichen Fluss der Dinge überlassen?“ [1] Vor allem aber, wie fruchtlos (oder wie fruchtbar) war dieses Unterfangen: Japan finden?


Sämtliche Medieneinführungen lehren uns, dass Denken in Binaritäten falsch sei; Doch zum Suchen gehört auch Finden. Was bringt Suchen ohne Finden?

Habermas’ Aussage: „Eine Interpretation kann die Sache nur in dem Verhältnis durchdringen, in dem der Interpret diese Sache und zugleich sich selbst als Momente des beide gleichermaßen umfassenden und ermöglichenden objektiven Zusammenhangs reflektiert“ [2], kann ich bezüglich des „objektiven Zusammenhangs“ nicht unterschreiben. Diesen Zusammenhang kann es, insofern man seine eigene Kognition mit in eine Interpretation einfließen lässt, niemals geben. Wahrscheinlicher ist sogar, dass es diesen „objektiven Zusammenhang“ - die eine Wahrheit, Realität - überhaupt gar nicht geben kann, und dass das, was wir für einen „objektiven Zusammenhang“ halten, lediglich fiktionale, konventionalisierte Konstruktion einer Kultur ist.

Als sehr hilfreich hingegen empfand ich die Reflexion des Selbst in der Auseinandersetzung mit dem Fremden, dem Konstrukt Japan. Dass das Selbst manches Mal kapituliert vor diesem selbst geschaffenen, nicht genau zu definierenden Konstrukt Japan, ist vielleicht eine mögliche Konsequenz dessen.

Ob ich dieses Konstrukt soweit hätte abstrahieren können, dass ich es hätte besser begreifen und zufriedener hätte sein können mit dem Ergebnis meiner Suche? Oder wäre ich dann nur der These gerecht geworden, dass man Texte als wirklicher empfindet, je modellhafter und abstrakter ihr Charakter ist - diese allerdings die Realität auch nicht wirklicher zu definieren vermögen?

Roland Barthes formuliert, dass Kultur ein Netz aus Intertextualität sei, dass alle Texte immer auf andere Texte referierten und ihre Referentialität niemals in einer letztgültigen Realität verankert sei. [3] Mir stellt sich die Frage nach dem ursprünglichen Text, dieser müsste ja dann in einer letztgültigen Realität verankert sein. Aber wie kann ich die Frage danach stellen, wenn ich selbst einen „objektiven Zusammenhang“ leugne? Kein Anfang und kein Ende, keine „letztgültige Realität“ in Abgrenzung zu 'cyberfiktionalen' Räumen, kein Denken in Binaritäten. Es wäre wie die Frage nach der Henne oder dem Ei.

Mein Konstrukt (Text) Japan ist nicht nur reduziert auf die Referenz - der Texte, die ich über Japan gelesen/gehört/gesehen habe und auf meinen eigenen kulturellen Text. Es ist genau diese endlose, sich ständig verändernde, gleichzeitige Verbindung zwischen den Referenzen – eine Realität Japan - ebenso wie ein Konstrukt Japan.

Ich habe keine Ahnung, was ich gefunden habe. Suchen und Finden stehen nicht zwangsläufig in einem binären Verhältnis. Es ist zwar kein „sinnloses Unterfangen“, doch bleibe ich skeptisch.
[1] Haruki Murakami. Sputnik Sweetheart. S. 153. Köln, 2002
[2] Jürgen Habermas. Erkenntnis und Interesse. S. 227. Frankfurt 1968
[3] Roland Barthes. Am Nullpunkt der Literatur.
Hamburg 1959

Sunday, July 23, 2006

Der Blog, Murakami, die Recherche, das Schreiben, das Seminar, die Kommunikation... 20 Beiträge später

Nun also doch. Schweren Herzens musste ich mich mangels Zeit dazu entschließen, die angefangenen Blog-Beiträge, die auf C:\Temp\Uni\Japan schlummern, an den Nagel zu hängen. Mich persönlich ärgert es besonders, die noch fehlenden Beiträge zur Arbeit in Japan, einen Beitrag zum Trauma der Geschichte in Mister Aufziehvogel und der Frage danach, ob Japaner an einem Lolita-Komplex leiden, oder warum vorzugsweise Mädchen mit Zöpfen, Schuluniformen und großen Brüsten die Protagonistinnen in Animes sind, niemals vollendet zu haben. Weil ich Dinge gerne zu Ende bringe, Perfektionist bin. Schade ist auch, dass ich niemals etwas über Murakamis Kurzgeschichte Schlaf geschrieben habe, obwohl mich diese sehr faszinierte.
Überhaupt wurde Murakami in meinen Blog-Beiträgen eher selten thematisiert, benannte ich diesen Blog doch in den letzten Semesterferien ganz vorlaut nach ihm. Murakami war eher eine Begleitlektüre auf meiner Suche nach Japan. Ich bin sicherlich zu einem Fan seines Schreibens geworden, doch bot er mir wenig Anknüpfungspunkte auf meiner Suche nach Japan. Was genau ich suchte oder auf welche Fragen ich mir Antworten erhoffte, das weiß ich auch jetzt nicht genau. Murakami allerdings entsprach irgendwie nicht meinen Antizipationen, die ich an ihn, an Japan, an das Seminar stellte.

An dieser Stelle einen Aufruf in eigener Sache: Ich weiß, dass ich „Der Elefant verschwindet“, als auch „Darum nerven die Japaner“ verliehen habe, allerdings nicht mehr an wen. Doch hätte ich die Bücher irgendwann gerne wieder ;-)

Im Ganzen kann ich sagen, dass der Blog nicht wirklich repräsentativ für die Auseinandersetzung mit Japan ist. Nicht nur, dass es eine Menge angefangener Blogbeiträge auf meiner Festplatte gibt, es gibt auch massig Themen, mit denen man sich beschäftigte, die aber überhaupt nicht zur Sprache kamen:
Ein Freund, der mir Hagakure 1+2, Die Kunst des letzten Augenblicks – Todesgedichte japanischer Zenmeister, Miyamoto Musashis Fünf Ringe, als auch den Roman Musashi (welcher sich den Abenteuern Musashis und seines Gefährten Matahachis als auch einer unheimlich kitschigen Liebesgeschichte annimmt) auslieh, wird nun sicherlich enttäuscht sein, dass er niemals einen Beitrag dazu lesen konnte.
All die japanischen Filme, welche ich im letzten Semester sah, wurden niemals erwähnt. So werden stepptanzende Japaner ebenso wie die theoretische Kenntnis über einen Schwertkampf unter Allgemeinwissen verbucht. Schließlich ist Wissen Macht – scheinbar unnützes Wissen sowieso. Jedenfalls gab es eine Reihe gescheiterter Unterfangen, die vielleicht eher indirekt im Kontakt zum Seminar stehen:
Vor Wochen fing ich an, einen Manga zu zeichnen, welcher die Suche nach Japan irgendwie visualisieren sollte - nun aber in einer anderen Realität, inmitten eines Kampfes der Protagonistin mit einem geisterhaften Monster, versickert ist.
In der 12. Klasse hatte ich ein Stipendium an einer Sprachschule in Florenz; Teil dieses interkulturellen Programms war es, 10 Mädchen aus 10 Ländern sich eine Wohnung (und vor allem ein Bad) teilen zu lassen. Also hatte ich während dieser Wochen dort auch eine japanische Mitbewohnerin namens Rie. Da in meiner Erinnerung der letzten drei Jahre von Rie nicht viel übrig blieb (lediglich der Gedanke, dass sie quasi täglich Tunfisch aus der Dose mit einem Brei aus Banane und Sojasoße aß) und wir eher losen Kontakt pflegten, dachte ich mir, ich könne ihr einen Brief schreiben; Ein paar Fragen zu Japan stellen, mit meinen im Laufe des Seminars erworbenen kläglichen Brocken Japanisch protzen, sie fragen, wie’s so geht... Leider hat Rie meinen Brief bis dato nicht beantwortet - was ich ihr nicht verübeln kann. Wobei mir auffällt, dass ich augenscheinlich gelogen habe, als ich zu Beginn sagte, dass ich niemals merklichen Kontakt zu Japan hatte. Oder sagen wir besser, ich hatte es ‚vergessen’.

Strukturiertes Arbeiten, das ist etwas, was ich wohl noch lernen muss. Nicht nur, dass ich Beiträge schreibe, die ich nicht zu Ende führe, auch dass ich Sätze bilde, die kein Ende nehmen. So war, was das Schreiben anbelangt, das Seminar eine tolle Übung.

Und das Seminar als solches? Regelmäßig am Ball bleiben, die Augen offen halten dafür, was für den nächsten Beitrag interessant sein könnte - anstatt sich einfach in den Seminarraum zu setzen und zu hoffen, dass die Zeit bald vorüber geht, die Anwesenheit als überflüssig empfinden, insofern keine Unterschriftenliste im Umlauf ist und sich irgendwann mit einer Hausarbeit quälen. Dass es nicht so ablief, dies war in der Tat eine angenehme Abwechslung zum universitären Standartbetrieb. Dass das Thema Japan für mich irgendwann zu einem Selbstläufer wurde, ich einfach unheimlich neugierig wurde, unbedingt wissen wollte, was wie zusammenhängt, sich wie bedingt, welche Aspekte, Intertextualitäten bei einem bestimmten Thema mit hineinspielen, kam dann erfreulicherweise hinzu.

Zu dieser positiven Kontinuität hat sicherlich auch die sich herausbildende Inter-Blog-Kommunikation, die nicht nur über die Comment-Funktion ausgeübt wurde, beigetragen. Dank Annas Blog weiß ich nun wahrscheinlich mehr über Japanische Kunst als über jede Andere. Kurios empfand ich auch, dass ich bei der Recherche über „Arbeit in Japan“ irgendwann bei Google auf meinen eigenen Blog stieß.

In einem Zeitungskommentar habe ich einmal gelesen, dass jeder, der einen Blog besitze, sich gleichzeitig für einen guten Journalisten halte. Nun bin ich weit entfernt von dem Gedanken, ein guter Journalist zu sein - geschweige denn, überhaupt ein Journalist zu sein. Doch die Quintessenz dieser Aussage kann auch ich unterschreiben. Allein die Tatsache des regelmäßigen Schreibens impliziert eine (wenn auch nicht vorhandene) Zuhörerschaft. Der Blog gaukelt vor, irgendwen interessiere die Trivia, die man so von sich gibt. Dies ist a) natürlich verheerend und b) unheimlich gut für das Selbstwertgefühl.

Weniger ist vielleicht oft mehr – ich werde nächstes Mal daran denken.

Saturday, July 15, 2006

trauer

jeden morgen aufwachen und daran denken, dass eine geliebte person nicht mehr da ist. lernen, arbeiten, essen, schlafen, leben - und immer wieder daran denken.
aber dieser gedanke ist überhaupt gar nicht fass- oder begreifbar. ist es mehr als die schwere des satzes selbst, die traurig stimmt? "nicht mehr da." das bedeutet auch, dass jemand nie wieder zurückkehren wird; das bewusstsein darüber löst einen merkwürdigen schmerz aus: nicht wie der stechende schmerz, wenn man aufs knie fällt. anders, man muss nicht weinen; man ist gefangen in einer art seifenblase. sie umgibt einen in manch stillen momenten. in ihr steht die zeit still - kein vor und kein zurück. sie isoliert von der welt.
eine unsichtbare, schwebende wand ist etwas ähnlich unfassbares wie eine seifenblase. kein anderer kann sie sehen. einsamkeit. ein leiser schmerz, gleichzeitig laut. alle geräusche strömen auf einen herein, man versteht nicht was sie bedeuten. in der tiefe der seele nimmt man die welt nur als geräusch wahr.

und warum trennt freud melancholie von trauer? man solle trauerarbeit leisten, damit man alles möglichst schnell hinter sich lasse; somit verarbeitet habe, um dann wieder zurück zum alltag kehren zu können. melancholie allerdings, sei ein defizit an geleisteter trauerarbeit: trägheit, starre, das befinden eines selbst in einer seifenblase – abgeschottet von der welt. verachtenswert. neurotisch.
aber es ist doch auch menschlich, oder? als ob es so etwas wie eine vorbildliche trauer gäbe. so wenig wie man den tod begreifen kann, so wenig kann man begreifen was (in diesem falle) melancholie bedeutet, so wenig kann man sie behandeln. ich denke, dass es eine angemessenheit dessen gibt, was freud als melancholie versteht
„ein weg in die erkenntnis der verlorenheit“ schreibt die Zeit über murakami - und erklärt damit ganz empfindsam das wesen der melancholie.

in bezug auf haruki murakami: Wilde Schafsjagd. Hard Boiled Wonderland. Mister Aufziehvogel. mit der zeit kommt man durcheinander. es geht bei murakami oft um verlusterfahrungen.

Sigmund Freud: Trauer und Melancholie Auszug bei moodle
Zeit: http://www.zeit.de/2005/17/SM-Murakami?page=1

Friday, July 14, 2006

Ahhhh Fujitsuuuuuu

Mit der japanischen Wirtschaft scheint es bergab zu gehen, so viel habe ich verstanden. Was ich noch nicht ganz verstanden habe ist, wo genau der Unterschied zwischen Lohnnebenkosten und Lohnstückkosten, ferner der Unterschied zwischen realen – und nominalen Lohnstückkosten liegt? Welche Bedeutung Outsourcing für japanische Unternehmen hat? Geschweige denn, dass ich wüsste, was White- oder Blue Collar bedeutet? Doch dies scheinen wichtige Grundlagen zu sein, wenn man über japanische Wirtschaft schreiben möchte.

Daher wurden die mehr oder minder seriösen Blogbeiträge über Arbeit in Japan Part III und IV auf unbestimmte Zeit vertagt:

Statt dessen gibt es Popsongs der Extraklasse:

„Ein Lächeln ist mehr wert als Du denkst; ein Lächeln ist Gold das Du verschenkst; ein Lächeln ist billig, kostet gar kein Geld; und erobert trotzdem die Kundenwelt“

Diese Zeilen mögen dem ein oder anderen Kaufland-Kunden bekannt vorkommen. Denn dies ist ein Auszug aus der Firmenhymne von Kaufland – welche auch mehrmals täglich in deren Filialen abgespielt wird.

Warum ich das schreibe, und was das mit Japan zu tun hat?
Der „Lächle dich reich- Song“ ist, (ungeachtet der Melodie) absolut schlecht, ein wirklich saublöder Text und ich bezweifle stark, dass man mit diesem Lied die Kundenwelt erobern kann. In Japan kann man mit solcherlei Songs allerdings nicht nur die Kundenwelt, sondern auch die Charts erobern; Dort sind Firmenhymnen viel weiter verbreitet als in Deutschland. Man singt sie zu besonderen Anlässen wie Firmenjubiläen, gemeinsamen Picknickausflügen oder (in Ausnahmefällen auch) jeden morgen vor Arbeitsantritt. Die Firmenhymne 'Nihon Break Kogyo’ einer Abbruchfirma schaffte es sogar in die japanischen Hitparaden.

„Wir werden Häuser zerstören; Wir werden Brücken zerstören; Wir werden Gebäude zerstören; Von Osten nach Westen; Vorwärts Nihon Break Kogyo“ ist der beste Punk-Song seitdem ich „Betontod“ und „Terrorgruppe“ nicht mehr für gute Bands halte.

Besonders schön finde ich auch den Fujitsu Song. Dieser erinnert ein wenig an eine Mixtur aus „Peter, Paul und Mary’s“ ’Puff the magic dragon’ und ‘Tomorrow belongs to me’ aus „Cabaret“.

Let's run out now, to greener fields, where shines a splendid Sun.
We have a dream, a wondrous dream, that gets the best things done.
A wide blue sky is in our heart now,
Open-ness in our soul,
We'll run together going onwards now,
On towards our goal.

Ahhhh Fujitsuuuuu, oh tomorrow is our goal.

Lets join our hands, with everyone, and smile at each new hour.
We have a dream, an endless dream, of youthful love and power.
We want to use all our skill now,
All the strengths unfurled,
We plan uniting all our new techniques,
Over all the world.
Ahhhhh Fujitsuuuuu, forges links all over the world.

Let's make a bond, from heart to heart, throughout the human race.
An unseen power, now in our grasp, can even conquer space.
We want to find a new harmony,
Both in work and play,
We'll share the fresh things we discover now,
Building a new day.

Ahhhhh Fujitsuuuuuu, GIVES A JOY WITH EVERY NEW DAY

Ist das nicht herzig. Eigentlich ist diese Firmenhymne in japanischsprachigem Text von M. Nakamura verfasst worden, doch dies ist die offizielle Übersetzung von Fujitsuuuuuuuuuu, die uns wohl allen verständlich macht, warum Fujitsu so toll ist. Ich werde darauf zurückkommen, sobald Fujitsu die Weltherrschaft erlangt hat.

Des Weiteren sei noch anzumerken, dass das diesjährige Firmenpicknick bei Fujitsu Japan leider aus ökonomischen Gründen ausfallen muss, doch das Lied wird auf jeden Fall in allen Werken über ein Lautsprecher System zu hören sein.

Zum Selbsthören. (Quick erforderlich)


Quellen:
[http://www.musicnet.at/index.php?id=mnetartikel&no_cache=1&tx_music_pi8%5Bartikelid%5D=100&backPid=209 08.07.2006]
[http://shortnews.stern.de/shownews.cfm?id=493945&CFID=18828826&CFTOKEN=18600406 05.07.2006]
[http://insight.zdnet.co.uk/business/0,39020481,2125636,00.htm 14.07.2006]

Wednesday, July 05, 2006

Arbeiten in Japan (Vol II / IV )

Was also bringt Japaner dazu, so viel zu arbeiten? Wie ist Japans Arbeitsmarkt aufgebaut? Warum besitzt nicht Arbeit generell, sondern die Firma in Japan so einen hohen Stellenwert? In einer von mir gerne zitierten Monographie von Aoki Tamotsu fand ich Ansätze einer Erklärung:



In seiner Abhandlung „Von der Japanizität zur Globalität (seit 1984)“ beschreibt Tamotsu das System japanischer Unternehmensführung wie folgt: Charakteristisch für die Arbeit in japanischen Unternehmen seien Attribute wie „lebenslange Beschäftigung; jährliche gemeinsame Einstellung von Arbeitskräften ohne Selektion bestimmter Bewerber für bestimmte Posten ; Standartausbildung für alle [...]; Vergütung und Beförderung entsprechend der Seniorität; Beschränkung des Wettbewerbs und Betonung der Harmonie; das ringi-System*; das System der Gruppenverantwortlichkeit und des omikoshi-Managements*² ; Organisationen, die gleichermaßen autoritär und demokratisch beziehungsweise partizipatorisch sind; paternalistische Aufsicht über das Wohlbefinden von Angestellten bis in deren Privatleben hinein“.


*Ringi-System: Ein Umlaufsystem, bei dem Vorgänge zur Information, Kommentierung und Abzeichnung an alle betroffenen Stellen geleitet werden.


Omikoshi-Management
: Verteilung der Verantwortung nach dem Muster der dörflichen Schreinfeste (omikoshi= der Schrein), wo in Festumzügen alle gleichermaßen die Last der Schreine tragen.



[Aoki Tamotsu. Der Japandiskurs im historischen Wandel – Zur Kultur und Identität einer Nation. München 1996]



Die Vorteile dieses Unternehmensstils liegen auf der Hand: Er bedeutet Sicherheit für die Angestellten und deren Angehörige, da diese eine Beschäftigungs- als auch Beförderungsgarantie besitzen. Für die Firma bedeutet dies universal einsetzbare und flexible Arbeitskräfte. Und mit der großen Wertschätzung einer kollegialen Kooperation und einer Einwirkung der Arbeit auf das Privatleben soll wohl in der Tat so etwas wie eine corporate identity geschaffen werden.

Das klingt doch, insofern man bereit ist, die Definition von Privat etwas auszudehnen, gelegentlich einen Abend mit dem Chef in der Karaokebox zu verbringen und dort nicht seine persönliche Interpretation von „Sympathy for the Devil“ zum Besten zu geben, gar nicht so schlecht.

So manch einer würde sicherlich gerne die ein oder andere Geistesfreiheit aufgeben, um sie für Sicherheit und Stabilität im Beruf einzutauschen. (Denn der Verlust dieser Freiheit geht wohl zwangsläufig mit dem japanischen Stil der Unternehmensführung einher.)

Doch bezüglich meiner Frage, warum die Japaner so viel arbeiten, fühle ich mich eher zurückgeworfen, als das ich der Beantwortung dieser Frage näher gekommen wäre. Wenn man sowieso eine lebenslange Beschäftigungs- und Beförderungsgarantie besitzt, so muss man sich doch für diesen Job auch gar nicht sonderlich engagieren – geschweige den Gefahr laufen, an Überarbeitung zu sterben. An dieser Stelle die Verbindung zu manch einem meiner ehemaligen Lehrer kurz vor deren Pensionierung zu ziehen erspare ich mir – und bin statt dessen ehrlich zu mir selbst: Stelle ich mir nun einmal vor, wie es wäre, ein Seminar zu besuchen, in welchem der Dozent schon von vornherein garantiert, dass jeder Teilnehmer dieses Seminar mit einer 1,0 abschließen werde? Wahrscheinlich würde ich mich bei dem ersten Seminar dieser Art noch ordentlich ins Zeug legen, um das mir entgegengebrachte Vertrauen nicht zu enttäuschen, beim Zweiten und Dritten jedoch schon nicht mehr...

Ganz abgesehen davon, dass die persönliche Leistung durch das Prinzip der Beschäftigungs- und Beförderungsgarantie keineswegs geschätzt wird, was längerfristig zu einem Motivationsverlust, als auch dem Verlust eventueller Freude an der Arbeit führen würde, macht dieses Prinzip den Arbeitsmarkt als Ganzes nur undurchlässig.



Doch das Prinzip besitzt auch eine gewisse innovative Dynamik, so hat sich in Japan durch die vertraglich garantierte, lebenslange Beschäftigung der Beruf des
madogiwa zoku* etabliert. Die Aufgabe des madogiwa zoku besteht (wie für alle in der japanischen Sprache versierten Personen ersichtlich) darin, aus dem Fenster zu schauen. Ok, ich gebe zu, ich finde die Beschreibung dieser Tätigkeit in gewissem Maße amüsant, doch man kennt dieses Phänomen ja auch aus dem ehemals kommunistischen Ländern und weiß, dass es das nicht ist. Drastisch hohe Selbstmordraten in Japan, insbesondere unter Männern mittleren Alters, tun ihr übriges um zu untermauern, dass es nicht lustig ist. (Insofern man die innerbetriebliche Arbeitslosigkeit als eine Ursache für Suizid annimmt.)



madogiwa zoku:
Fenstergucker (jap. 窓際族 madogiwa zoku) [http://de.wikipedia.org/wiki/Fenstergucker 05.06.2006]



Wie es nun aber tatsächlich zu Karoshi kommt? Konnte ich bislang noch nicht feststellen. Nächstes mal.

Arbeiten in Japan (Vol I / IV )

Das Wort Weblog (kurz blog) ist eine Wortkreuzung aus dem Wort web und aus dem Wort log. Was web bedeutet, sollte hinlänglich bekannt sein, zumal es mir wohl auch recht schwer fiele, die genaue Bedeutung treffend zu erläutern. Ein Log ist ein Messinstrument aus der Seefahrt. In einem Logbuch werden Geschwindigkeiten oder zurückgelegte Fahrtstrecken festgehalten, ein Seefahrer-Tagebuch sozusagen. Verweise auf das world wide web gibt es in meinem blog zur Genüge, in solchem wird es ja auch veröffentlicht; Also konzentriere ich mich heute auf den Tagebuch-Teil und plaudere ein wenig aus dem Nähkästchen.



Dem aufmerksamen Leser meines blogs wird aufgefallen sein, dass neue Beiträge seit geraumer Zeit eine echte Rarität geworden sind. Anfangs dachte ich noch, mir ginge es wie der jungen Sumire zu Beginn von Murakamis „Sputnik Sweetheart“: Den „Kopf [...] vollgestopft mit Zeug, über das ich schreiben will. Wie eine olle Scheune. [...] Aber wenn ich mich dann an den Schreibtisch setze und schreiben will, merke ich, dass etwas Wichtiges fehlt. [...] und ich bleibe auf einem Haufen Geröll sitzen.“
[Haruki Murakami. Sputnik Sweetheart. Köln 2002. S.20] Aber dann müsste die Sache ja zu bewältigen sein: „losziehen und irgendwo einen lebendigen Hund finden“, [Ebd. S.21] meine Texte einer magischen Taufe unterziehen. Doch bei längerem Nachdenken musste ich feststellen, dass das Problem ein Anderes war: Weder erwartete ich von meinen Texten eine spirituelle Verbindung zwischen Diesseits und Jenseits, noch litt ich an einer Schreibblockade. Das Problem war, mir fehlten zum Verfassen neuer Beiträge Zeit als auch Muße, denn ich stand kurz vor Karoshi*.

* „Als Karōshi (jap.過労死, Tod durch Überarbeiten) bezeichnet man in Japan einen plötzlichen berufsbezogenen Tod“.

[http://de.wikipedia.org/wiki/Karoshi 02.07.2006]



Schuld an meiner „Nah-Karoshi-Erfahrung“ sind nicht etwa 30 Semesterwochenstunden, Rugby-Training, ambitionierte Kurzfilme, Hausaufgabenbetreuung für Kinder mit Migrationshintergrund, zu haltende Referate oder zu schreibende Essays. Dies sind alles Dinge, die mir große Freude bereiten. Schuld daran ist mein „Bafög-Pimpin´-Nebenjob“: 36 Stunden an einem Wochenende, immer bereit sein einzuspringen, wenn’s mal brenzlig wird - auch werktags nach Mitternacht -, sich der Willkür des Chefs beugen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt – es handelt sich lediglich um einen Kellnerjob. Hinzu kommt natürlich noch das permanente schlechte Gewissen, da solch materialistische, „ich-würde-alles-für-Geld-tun-Attitüde“ eigentlich völlig meinem Naturell widerstrebt. Abgesehen davon jedenfalls, dass ich vor Arbeitsantritt keine Gymnastik mit meinen Kollegen machen muss und wir keine Firmenhymne besitzen, stelle ich mir so in etwa auch den japanischen Arbeitsalltag vor - Doch weit gefehlt:



Nicht nur, dass japanische Arbeitnehmer wahrscheinlich niemals eine solch öffentliche Plattform dazu nutzten, über ihren Chef herzuziehen. Wahrscheinlich hätten sie auch kein schlechtes Gewissen, dermaßen käuflich zu sein, sondern empfänden es als große Ehre, sich so sehr für die Firma aufopfern zu dürfen. Und was mich anbelangt, so wären Unterhaltsforderungen - im Falle meines Ablebens fehlgeschlagen, denn „
Überarbeitung als Todesursache [kommt] in Frage, [...] wenn der Betreffende am Tag seines Ablebens mindestens 24 Stunden (!) gearbeitet hat oder in der Woche vor seinem Tod jeden Tag mindestens 16 Stunden. Wenn er in der Woche vor dem Zusammenbruch einen Tag frei hatte, ist es schon kein Karoshi mehr und Unterhaltsforderungen greifen ins Leere.“ [http://www.heise.de/tp/r4/artikel/12/12609/1.html 02.07.2006] In der Tat, es gibt keinen Grund zu lamentieren.



Ich entsinne mich, gelesen zu haben
[vermutlich in Neumanns „Darum nerven die Japaner“], dass in Japan alles so teuer sei. Insbesondere Aufwendungen für Freizeitaktivitäten, da die Japaner so wenig Urlaub hätten, das Geld, welches sie verdienten ja allerdings trotzdem wieder ausgegeben werden müsse – sonst funktioniert ja auch das alles mit der Marktwirtschaft nicht mehr so gut. (Nur um einen Allgemeinplatz zu formulieren, mit welchem ich meine ökonomische Unkenntnis sicherlich nicht überspielen kann.) Jedenfalls macht das für mich keinen Sinn: Sechs Tage die Woche arbeiten, über 300 Tage im Jahr – nur damit man den ganzen Lohn an einem Urlaubs-Wochenende wieder verprassen „muss“?



Ich für meinen Teil weiß, wofür ich arbeite: Studiengebühren nächstes Jahr, einen Flug dorthin, wo die Sonne noch wärmer strahlt in den Semesterferien... Aber was ist die Motivation für die Japaner, so viel zu arbeiten? Wie muss die corporate identity einer Firma aussehen, für die man sogar die Gefahr, an Karoshi zu sterben, auf sich nimmt?